Warschau Tag 3: Die Stadt von und auf ihrer anderen Seite

28. Oktober 2013 11:28 | von

Wer sich schon früh am Morgen etwas Gutes gönnen möchte, sollte sich auf keinen Fall das Frühstück im „Café Baguette“ (Krakowskie Przedmieście 69, unweit des Schlossplatzes) entgehen lassen. Neben warmen (und riesigen) frisch belegten Baguettes gibt es frisch gebackenes Brot aus der kleinen Backstube neben dem Tresen und jede Menge Kuchen und Süßes. Die Mädels, die den gut besuchten Laden schmeißen, haben auch beim größten Andrang für jeden Gast ein Lächeln auf den Lippen. In den kühleren Monaten muss man Glück haben, denn es gibt drinnen nur wenige Sitzplätze. Und gerade zu den Stoßzeiten ist der Andrang groß, was bei den günstigen Preisen und dem leckeren Essen nicht überraschend ist.

Café Baguette Warschau

Café Baguette von innen ©

Café Baguette von draußen

Café Baguette von draußen ©

So für den Tag gestärkt geht es über die Śląsko-Dąbrowski-Brücke in den Stadtteil Alt-Praga (Stara Praga). Hier, auf der anderen Seite der Weichsel, gibt es keine schmucken Schlösser oder hübsch angelegte Parks. Stattdessen graue Straßen, dunkle und verlassene Hinterhöfe sowie alte Industriearchitektur. Ein bisschen wirkt es so, als wäre die Zeit stehen geblieben, als wären die Wolkenkratzer und Glasfassadenbauten des Zentrums nicht 20 Minuten mit dem Bus entfernt, sondern unendlich weit weg. Der Stadtteil ist definitiv was für Entdecker, denn wer genau hinguckt, findet zwischen den tristen Fassaden die ein oder andere Bar, die in Berlin Kreuzberg oder Neukölln garantiert Scharen junger Kreativer anlocken würde. Und erneut beschleicht den Besucher das Gefühl, dass hier noch unendlich viel Potential schlummert.

Ein Beispiel, wie die alten Industriebauten kreativ genutzt werden können, liefert die ehemalige Wodkafabrik in der Ulica Ząbkowska 27 bis 31, wo sich Künstler und Designer tummeln. In einer der Hallen werden aufgemöbelte Second-Hand-Sachen und Selbstgemachtes verkauft.

Warenverkauf in einer ehemaligen Wodkafabrik in Warschau

Warenverkauf in einer ehemaligen Wodkafabrik in der Ulica Ząbkowska 27 bis 31 ©

Ein Stück die Straße runter wartet ein weiteres Schätzchen, das es zu entdecken gilt. Der kleine Eine-Frau-Betrieb „DwieBaby“ in der Hausnummer 38 verkauft selbstgemachte Designerlampen, restaurierte Vintage-Möbel und handgemachte Kleidung und Accessoires.

Milchbar Mleczny Ząbkowski in Warschau

Milchbar Mleczny Ząbkowski ©

Wer ohnehin auf der Ulica Ząbkowska unterwegs ist, sollte es sich nicht entgehen lassen, einen Abstecher in eine der bekanntesten Milchbars Warschaus zu machen. In der „Bar Mleczny Ząbkowski“ fühlt man sich direkt in tiefste sozialistische Zeiten zurückversetzt. Für ein paar Złoty gibt es polnische Hausmannskost – Piroggen, Suppen und Kompott. Bestellt wird an der Kasse, anschließend geht es zur Essensausgabe, wo Damen mit Schürzen, die der hippe Großstädter wahrscheinlich als „Retro“ bezeichnen würde, und Schutzhauben auf dem Kopf das Essen über den Tresen schieben. Die Atmosphäre ist kühl und anonym. Was auffällt, sind die vielen alten Menschen und Mütter mit Kindern, die hier essen kommen. Die Milchbar ist für ihre hervorragenden Piroggen bekannt. Der Cappuccino für zwischendurch ist dagegen nicht zu empfehlen.

Mit dem Bus oder der Tram ist man im Nu wieder im Zentrum Warschaus links der Weichsel. Ein 20-Minuten-Ticket kostet 3,40 Złoty (unter 1 Euro).

Nachdem der Aufenthalt bis hier vor allem durch die beeindruckende Architektur geprägt war, wird es zum Abschluss des Kurzaufenthaltes in der polnischen Hauptstadt Zeit für etwas Weitblick. Diesen bekommt man im wunderschönen Łazienki-Park (Ulica Agrykoli 1).

In dem riesigen Park gibt es neben viel Grün, Seen und Flüsschen auch viele kontaktfreudige Tiere, allen voran Eichhörnchen. Park-Neulinge, die bei der ersten Begegnung mit den flinken Kletterern noch eilig die Kamera zücken, werden schon nach kurzer Zeit feststellen, dass die ungewöhnlich zutraulichen Tierchen praktisch hinter jedem Baum warten und gern für die Kameras der vielen Familien mit Kindern posieren. Wer sich Zeit nimmt, kann die vielen königlichen Gebäude und Denkmäler abklappern, darunter den Myślewicki-Palast, die Alte und neue Orangerie und das Chopin-Denkmal.

Łazienki-Park in Warschau

Łazienki-Park ©

Eichhörnchen im Łazienki-Park, Warschau

Eichhörnchen im Łazienki-Park ©

Piroggen

Piroggen ©

Nach einem ausgedehnten Spaziergang durch den Park gibt es nichts Besseres, als die Akkus mit einer deftigen polnischen Mahlzeit aufzuladen. Spätestens jetzt, am letzten Abend, müssen Piroggen auf den Teller. Das passende Restaurant, die „Pierrogeria“ liegt am Plac Konstytucji 2, nur 10 Gehminuten vom Łazienki-Park entfernt. Hier gibt es die gefüllten Teigtaschen in allen möglichen Variationen – ob mit Spinat, Kohl, Fleisch, Pilzen oder Käse (ab 20 Złoty / 5 Euro). Wem das nicht reicht, kann sich vorab mit einer „Weißen Suppe“ aufwärmen. Doch Vorsicht: Nach der reichhaltigen Suppe mit Wurst und Eiern haben mitunter auch Vielesser nicht mehr allzu viel Platz für die Hauptmahlzeit.

Beim anschließenden Spaziergang durchs abendliche Warschau hat man noch einmal die Chance, die beeindruckende, erleuchtete Skyline aus der Nähe zu betrachten.

Was nach drei Tagen Warschau bleibt, ist vor allem die Frage, wie die Stadt wohl in zehn Jahren aussehen wird. Was werden die unzähligen Baustellen aus dem Boden stampfen? Was passiert mit den vielen leerstehenden Altbauten? Entwickelt sich Stara Praga tatsächlich zum neuen „In-Bezirk“? Um das zu erfahren, hilft nur eins: Wiederkommen.

Text & Bilder © Katja Thiede

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